Heiny Widmer, ehemaliger Konservator, Kunsthaus Aarau schreibt über den Künstler Felix Hoffmann
Felix Hoffmann liesse sich ausstellungsmässig, wollte man das tun, auf die verschiedenste Weise inszenieren: man könnte ihn fixieren auf das Bild des einfühlsamen Märchenillustrators und ihn in die Tradition der grossen einschlägigen Zeichner stellen. Man könnte in ihm den Glasmaler sehen, der sich von der mittelalterlichen Tradition herschreibt; man könnte ihn als den Schilderer der engeren Heimat, der Stadt Aarau, des Juras, der näheren Lebensumgebung verstehen, und man könnte ihn zu jenen grossen handwerklichen Begabungen in der Kunst zählen, die virtuos jedes Medium, jedes Instrument zu handhaben verstanden.
Ja, man könnte in einem Wurf alle diese Eigenschaften zusammengenommen darstellen. Aber man würde dabei nie ganz in die Tiefe gelangen: denn Hoffmann war in erster Linie ein Künstler und als solcher ein Besessener, ein nie erlahmender Sucher nach dem Sinn seiner Arbeit und nach seiner eigenen Sendung.
Sein Ausgreifen in alle Bereiche entsprang mehr dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung, als etwa dem Bestreben, ein Mann der Kirche, ein Märchenvater, ein heimatbesessener Kleinmeister, ein kundiger literarischer Illustrator zu sein und zu werden.
Hoffmann ist, wie jeder wirkliche Künstler, unter schweren inneren Kämpfen zum Meister geworden. Seine Tagebücher geben darüber Auskunft. Der schenkte sich nichts. Das kleinste, scheinbar unbedeutendste Werk ist das Resultat intensiver Arbeit an zeichnerischen, malerischen und motivischen Problemen.
Wer seinen Nachlass übersieht und z.B. die Unmengen von Zeichnungen und Skizzenbüchern durchgeht, merkt, dass Hoffmann stets auf der Materialsuche war, dass er zu raffen, zu greifen suchte, was sich ihm auch im Kleinsten anbot, um es dann einzuverleiben in den selbstgeschaf- fenen Kosmos, welcher sich gegen das Ende seines Lebens zusehends angereichert, geordnet und ein in sich selbst fast reibungsloses Funktionieren erreichte hatte.
Hoffmann, losgelöst von allen Bindungen, Einschränkungen, wie sie seine eingangs beschriebenen Tätigkeiten mit sich brachten, zu betrachten und zu erfassen, fällt nicht leicht. Seine Arbeitsgebiete durchdringen sich und das eine hat das andere befruchtet, beeinflusst. Wer sich aber gewissermassen an den Rand seiner Arbeit begibt, an jenen Punkt, an dem der Künstler absichtslos seine Ideen aufschreibt, unmittelbare Sedimente seiner Geschichte und Erfahrungen notiert, wird auf den Kern des Werkes stossen und damit auf die wesentlichen Spuren.
Man weiss ja aus der Kunstgeschichte, dass die Handzeichnung jenen äusseren Stilwandel nicht in dem Masse durchgemacht hat, dem die Tafelmalerei, die Plastik, die „fertigen" Werke deutlich durch die Jahrhunderte unterworfen sind. Man vergleiche in diesem Sinne nur etwa eine Handskizze Rembrandts mit einer Liebermannschen Notiz.
Natürlich wird aus beiden Blättern der Zeitgeist, die an die Periode gebundene Handschrift sichtbar. Aber das zutiefst Menschliche, die über die Zeiten hinweg gleichbleibende Ergriffenheit des Künstlers im Augenblick der zeichenhaften Fixierung ist stärker und prägt deutlicher das Erscheinungsbild. Diese Feststellung dürfen wir auch bei Hoffmann machen. So können wir uns, nachdem er in diesem Katalog durch verschiedene Autoren in allen seinen Schaffensgebieten als „Spezialist" vorgestellt worden ist, als „angewandt" arbeitender Künstler, diesem Schaffen zuwenden als einem „Grundwasserstrom" gewissermassen, aus dem alles von Anfang gewachsen ist. Da hebt sein Werk behutsam an mit Darstellungen der engeren Heimat, mit Aktzeichnungen, die die Herkunft seiner Lehrer aus dem Spätimpressionismus deutlich machen. Oft entstehen Radierungen daraus; vollplastische, durchmodellierte Frauenkörper, stimmungsvolle Bilder vom Bachfischet, von Bauernhäusern. Alle seine ersten Zeichnungen verraten das sorgfältige Vorgehen, genaueste Beobachtung, und die unermüdliche Hand, die nie erlahmt im Versuch, Hände Füsse, Köpfe, Arme und Beine in allen Stellungen und perspektivischen Verkürzungen darzustellen. Noch zeigen aber die Blätter keine persönliche Handschrift, aber eine eminente Begabung; noch sind Licht und Schatten die Kräfte, die die Stimmung vermitteln.
Fast unmerklich aber arbeitet sich im Laufe der Entwicklung das tragende lineare Gerüst der Erscheinungen durch. Licht und Schatten werden fast gänzlich verdrängt. An ihre Stelle tritt die Linie, das Linienbündel und modelliert Gestalt und Gegenstand.
Hoffmann hat sehr oft mit der Feder gezeichnet. Dieses zur Präzision zwingende Instrument lag ihm, so wie ihm die Radiernadel, der Kaltnadelstichel lag. Es gibt Federzeichnungen von Gebirgsstöcken, die vollkommen aus Linien gebildet sind: Buckel und Schründe werden durch gebogene Bündel hervorgeholt, das Relief scheint ein Geflecht feiner Fäden zu sein. Dann gibt es Landschaften, denen ein locker gelegtes Strichband die einzelnen Gegenstände, Bäume, Häuser und Pflanzen umspielt, verbindet und in die Komposition einbettet. Auf anderen Blättern treffen wir auf hingetupfte, gestrichelte Strukturen, die abstrahierend das Dargestellte zum Muster verwandeln.
Es sind alles absichtslos gezeichnete Blätter, kleinformatig. Sie füllen ganze Mappen. In der Rückschau kommen sie uns wie Etüden vor, Fingerübungen, in denen die Möglichkeiten der Instrumente Feder, Bleistift, Schwarzstift, Pinsel, Rohrfeder ausprobiert, in denen Figurationen, Konstellationen gesammelt werden. Fingerübungen aber auch, die dann in seinen Illustrationen weiter verwendet, in Hintergründe eingebaut oder als tragende Elemente die Kompositionen bestimmen.
Felix Hoffmann hat in seiner Arbeitsdisziplin das Ideal des Künstlers des 17. und 18. Jahrhunderts verkörpert. Er war im Augenblick der Arbeit Handwerker, der sich an Arbeits- stunden, an Tageszeiten hielt. Und er war zugleich ein bewusster, reflektierender Geist, der eklektisch einer Lektüre, einem bildnerischen Problem zu Leibe gehen und aus dem anerworbenen Schatz das zur Darstellung bringen konnte, was ihm angemessen schien.<o:p></o:p>
Parallel zu seiner eigenen Arbeit lief die Auseinandersetzung mit der Kunst in allen ihren Erscheinungsformen. Die alten Meister, vor allem Rembrandt als Radierer, dann aber Altorfer, dessen dichte und krause Ornamentik der Komposition, dessen inhaltliche Besessenheit er besonders schätzte, studierte er. Auch die Italiener der Renaissance, die ihn durch ihre Klarheit und Monumentalität bestachen, betrachtete und analysierte er immer wieder. Beckmann, Chagall, unter den Modernen beschäftigten ihn besonders.
Ein guter Freund Wölflins hat einmal erzählt, dass der Gelehrte, als er an seinen „Grundbe- griffen" arbeitete, wohl das Tagesgeschehen in der Kunstgeschichte, der Kritik zur Kenntnis genommen, aber dass der „Strassenlärm" nicht in ihn gedrungen sei. Er habe wohl hin und wieder aufgeschaut, aber der Fortgang der Arbeit sei dadurch nicht gestört worden.
So muss man sich Hoffmanns Verhältnis zum täglichen Kunstgeschehen vorstellen. Auch seine Feststellung über die Abstraktion (siehe Artikel Felix Buser) muss zu diesem Stellenwert genommen werden. So wie Hoffmann im Motivischen, im Mittel Materialien suchte, so suchte er im Arsenal der bekannten und der neu entstehenden Kunst das, was seinem Werk angemessen war und dessen Fortgang förderte. Das andere fiel ab.
Wenn wir Hoffmanns bildnerische Entwicklung und seine Arbeitsmethodik nun übersichtsweise beschrieben haben, so bis etwa zum letzten Jahrzehnt seines Lebens.
Es lohnt sich, einen eingehenderen Blick auf dieses letzte Jahrzehnt zu werfen, denn in dieser Zeit entstanden, losgelöst von Aufträgen und Zwängen, Zyklen, in denen der Künstler zu Formulierungen gelangt, die die volle Reife seines Könnens verraten; Wir meinen damit Zyklen wie z.B. „Dante" (1967), „Der arme Heinrich" (1967), „Radierungen zum alten Testament" (1967/68) und die Auseinandersetzungen etwa mit Rubens, Cranach und Ucello. Einer dieser Zyklen sei näher betrachtet, und zwar in seinem Urstadium; nämlich in Form der Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie. Hoffmann begann diese Arbeit im Jahre 1967. Die letzten Daten auf den Blättern stammen aus dem Jahre 1974.
Wer die Zeichnungen betrachtet, spürt, dass sich hier sein ganzes Können versammelt. Hoffmann zieht Bilanz. Was behutsam als Naturstudie begonnen hatte, was gewissenhaft gesammelt worden war in der Landschaft, im Aktsaal, hier erscheint es im Gewande der kraftvoll hingeworfenen Skizze, frei von Absicht, nur getragen vom besessenen Bemühen, eine Vorstellung in hart erworbener Kurzschrift festzuhalten. Die berühmte Stelle in Dantes Komödie: "Nel mezzo del camino......", sinngemäss etwa als: „In der Mitte des Lebens sind wir vom finsteren Walde umfangen" zu übersetzen, muss den Künstler besonders stark beschäftigt haben. Nicht weniger als fünf grosse Entwürfe sind bekannt (wobei sicher mehr existiert haben): Die Gestalt Dantes schreitet durch den dichten Wald, Löwe und Wolf schleichen durch die Bäume.
Der Strich ist frei geworden. Die Feder gleitet in rasender Eile über das Ingres-Papier. Strichlagen werden hingesetzt. In grossartiger Zusammenschau wird ein Instrumentarium vorgeführt, das lebenslanger Arbeit entwachsen ist. In den Blättern verändert sich die Stellung der Tiere, ihre Beziehung zum Menschen. Einmal wird die Szenerie von Felsen beherrscht, einmal vom undurchdringlichen Wald allein. Oder: „Im Höllensturz des Verdammten" wirbeln die Leiber durcheinander. Die einzelnen Gestalten sind in den Fluss des Geschehens, der mit der Komposition identisch wird, eingeflochten, verlieren ihre zufällige anatomische Existenz zugunsten eines höheren künstlerischen Willens und Ausdruckvermögens. Ein ähnliches lässt sich zu den vier Blättern sagen, die er zum Thema der „Riesen" gezeichnet hat: Da stehen gigantische Gestalten eingezwängt in Rohrschächte. Dante mit seinem Begleiter steht als kleine verlorene Gestalt davor, den Massstab für die Grössenordnung vermittelnd. Einmal sind die Giganten mit virtuoser Kenntnis der Anatomie wiedergegeben, einmal erscheinen sie eingeschmolzen in die Dunkelheit, übertönt von Farbe und der düsteren Stimmung. Das andere Mal sind nur die Köpfe sichtbar. Die Leiber füllen gezwängt die hochragenden Schächte. Ohne Zweifel darf man in diesen Blättern, wie auch etwa in der Paraphrase zu Rubens "Polderlandschaft" oder in der Enthauptungsszene aus Cranachs „Die Enthauptung der hl. Katharina" (1515, Kremsier, erzbischöfliches Palais) die Erfüllung des Künstlers Hoffmann sehen.
Erfüllung im doppelten Sinne: in den letzten Blättern vermählen sich zum einen die Imagination und ihr Ausdruck zum organischen Ganzen, zum andern ist der literarische, der künstlerische Vorwurf auf jener Stufe angesiedelt, in der kein anekdotisches Beiwerk mehr den Künstler zu Konzessionen verführt.
Hoffmanns Entwicklung als Künstler hat also den klassisch zu nennenden Weg genommen: vom Studium der Natur, vom Erwerb handwerklicher Fähigkeiten zur kompositorischen Zusammen- schau, hat er zur Freiheit, zur souveränen Beherrschung der unmittelbaren Niederschrift von Bildvisionen geführt.
Seine ersten und letzten Skizzen, Zeichnungen sind an zwei extrem voneinander entfernten Punkten angesiedelt. Zwischen diesen Stellen liegt ein volles erlebtes und erlittenes Leben. Es hat begonnen im engen Rahmen und ist in die Weite künstlerischen Weltverständnisses entschritten. Die Sedimente des Entwicklungsprozesses sind Legion. Als Glasmaler, als Holzschneider, als Maler von Tafelbildern und als Zeichner und Radierer hat er, wie wir eingangs bemerkt haben, einen eigengesetzlichen Kosmos geschaffen, in dem die letzten freien Werke die Summe des Ganzen darstellen.
Das kann man nicht von vielen Künstlern sagen. Hoffmann hat ein Alterswerk hinterlassen. Das ist alleine schon viel. Selten wächst ein Werk zur Summe, selten steigert sich ein Werk kontinuierlich.
Innerhalb der jedem Künstler gesetzten Grenzen ist das bei Hoffmann aber ausgesprochen der Fall.<o:p></o:p>
erschienen in „Felix Hoffmann" Retrospektive, Aargauer Kunsthaus Aarau, 1977