Die Rolle des Musikalischen im Denken und Schaffen von Felix Hoffmann

Felix Buser  schrieb über die Bedeutung der Musik im Schaffen Felix Hoffmanns:

 

Urteile über Kunstwerke werden mit Begriffen formuliert, deren Anteil an der Musik, wenn nicht gar die Abstammung von ihr, nicht zu übersehen ist. Wir sprechen von der Struktur, dem Rhytmus eines Werkes, von der Komposition, vom Klang (auch im übertragenen Sinne als Farbklang), vom Tonfall, Instrumentierung, Harmonie, Einstimmigkeit, und wir reden davon, dass ein Künstler sein Thema variiere. Konsonanz entsteht durch eine harmonische Proportion, unproportionierte Verhältnisse bringen Dissonanzen hervor. – Schon diese Begriffe deuten an, dass die Musik, die gegenstandsloseste aller Künste, die reine Zeitkunst, in allen künstlerischen Schöpfungen enthalten, dass alle Kunst nur insofern Kunst ist, als dass sie an der Musik teilhat. – Diese Gedanken, die wir in Emil Staigers Nachwort zu den Musikalischen Novellen (Manesse, Zürich 1951) sehr schön formuliert finden, hätte auch Felix Hoffmann lebhaft vertreten. Dem Vernehmen nach hat nämlich der Aarauer Künstler beim Beurteilen von Kunstwerken ein feines Sensorium dafür gehabt, ob der fragliche Kunstschaffende musikalisch gewesen sei oder nicht. Er hat sogleich gespürt, ob ein Werk leichtfüssig, rhytmisch konzipiert sei, ob also Musik darin stecke, oder ob die Teile schwerfällig, ohne Proportionen, ohne Anmut daherkamen. Das Musikalische ist bei Hoffmann immer auch beteiligt bei der Entstehung der eigenen Werke und dass es auch im Bewusstseinsfeld des Künstlers einen breiten Platz eingenommen hat, das bezeugen viele Äusserungen.

Wenn wir im Folgenden versuchen, die Rolle des Musikalischen im Denken und Schaffen von Felix Hoffmann genauer zu bestimmen, so stützen wir uns zur Hauptsache auf ein Tagebuch- und Erinnerungswerk, das erst nach dem Tode des Künstlers zum Vorschein gekommen ist und von dessen Vorhandensein niemand etwas gewusst hat. Es handelt sich um die 15 Atelierbücher von durchschnittlich je zweihundert Seiten Umfang, in welchen Hoffmann seit seinem Einzug in das Atelier am Hasenberg am 11. April 1955 seine Eintragungen gemacht hat. In diesen Werkstattbüchern legt sich der Künstler in klar formulierten Texten sowie in Illustrationen mit Feder, Bleistift, Farbstift, Wasserfarben Rechenschaft ab über alles, was ihn in den Jahren seiner Tätigkeit am Hasenberg irgendwie beschäftigt hat und so ist ein Lebensbild Hoffmanns entstanden, das unsystematisch, spontan, aphoristisch neben dem Gesamtwerk einhergeht und das in seiner Konzeption den geistigen und seelischen Horizont dieses Mannes noch einmal verdeutlicht.

Hoffmann hat sein Tagebuch auf drei Ebenen geführt. Die erste Schicht spiegelt die Auseinandersetzungen, wie sie sich im Werktag eines Künstlers ergeben. Hier werden die begonnenen und vollendeten Werke verzeichnet, die Aufträge, die Absagen, die Pläne, Wünsche. Hier findet das Gespräch mit dem Geist der Epoche seinen Platz. Hoffmann weiss um die Strömungen seiner Zeit nur allzugut Bescheid und fühlt sich immer wieder dazu aufgerufen, den eigenen Standort zu überprüfen. Er weiss sich „in Frage gestellt als Mensch, als Künstler, als Christ – alles in Frage gestellt in der heutigen Zeit. Der gemeinsame Fluchtpunkt der Erscheinungen fehlt, ja der verbindliche Horizont für die Masse der Fluchtpunkte – und damit die Ebene – die Existenz“ (18.9.65).

Neben die erste stellt sich eine zweite Schicht, gebildet aus persönlichen Reminiszenzen, die mit eigenwillig tieferer Logik jeweils aufsteigen, wenn eine bestimmte neue Arbeit im Blickfeld steht. Hoffmann hat diese Erinnerungen aus der Kindheit, der Schul- und Ausbildungszeit gesondert behandelt, hat sie nummeriert und immer mit einer Zeichnung illustriert. Als nach acht Jahren die ersten hundert Erinnerungszeichnungen beisammen sind, erwägt er sogar eine spätere Herausgabe: „Es wäre eine neue Form von Selbstbiographie mit Erinnerungsfetzen, die auftauchten und festgehalten wurden, bevor sie wieder wegschwammen“ (23.8.63). Die Erinnerungen, um die es hier geht, sind nicht einfach gedächtnismässig Memoriertes, sondern es sind die Wirklichkeiten des Innern, die in den Zonen der Kindheit zu Hause sind, in einem – wie wir es von Proust her kennen – viel umfassenderen Ganzsein, das auch in allen unseren Sinneserfahrungen mitspricht. Und diese inneren Wirklichkeiten sind es, die das seelische Leben tragen und dem Schaffen des Künstlers erst die tiefere Resonanz verleihen. Dass sich Felix Hoffmann dieser Bedeutung bewusst war, legt nicht nur die Sorgfalt dar, die er für ihre Wiedergabe aufwendete, sondern auch etwa ein Satz wie der über den Apfelbaum hinter dem väterlichen Haus: „Nach den Photographien war er ziemlich klein, nach der Erinnerung (zählt die Photographie?) riesengross“ (8.3.60.). Hoffmann selber ist in allen diesen Erinnerungen präsent als ein intelligentes, hochsensibles Kind, das mit feinem Hälslein und in Jahrhundert- Wendehütchen und – Kleidern all die Freuden und Enttäuschungen eines Jungen erlebt, der seine Erfahrungen mit Erwachsenen und rohen Altersgenossen machen muss. Ein Moment voller Poesie ist die Erinnerung an den Aarauer Bachfischet, an welchem er zum erstenmal in Begleitung des älteren Bruders teilnehmen durfte: „Das Ganze hat mich so ergriffen, dass die Tränen über mein Gesicht gelaufen waren. Wir marschierten direkt hinter den mordsmässig dröhnenden Trommeln und sozusagen in einem leuchtenden Wald, der leise rauschend und knisternd mitzog..“ Und über sein blaues Lampion: „Ich wusste, dass ich es trug, und doch zog es hoch da oben wie losgelöst von mir mit den tausend anderen Lichtern....“ (25.9.62). Dass sich die Vision in einer Erinnerung mit einem musikalisch-rhytmischen Geschehen, dem Trommeln, verbindet, kann bei unserer Themastellung natürlich nicht übersehen werden.

Das Tagebuch Felix Hoffmanns dürfte in seiner Fülle und Vielschichtigkeit nicht leicht auszuschöpfen sein. Zu der wachen Auseinandersetzung mit der Gegenwart, zu welcher auch noch Notizen über exakte Beobachtungen, freie Einfälle sowie „Spielereien“, Parodien und Stilexperimente, gehören; zu den das ganze Schaffen nährende Erinnerungen aus Kindheit und Jugendzeit kommt noch die dritte Schicht, die uns hier weniger beschäftigen soll: Die Gegenwelt der Träume. Auch hier fehlt es nicht an Illustrationen, die eine eindringliche Sprache sprechen. – Um sich in einem so weitverzweigten, sicher auch ungleichwertigen Selbstbesinnungswerk sinnvoll zu bewegen, bedarf es einer gezielten Fragestellung: So fragen wir also nach der Rolle des Musikalischen im Denken und Schaffen von Felix Hoffmann. Die Frage mag angesichts des Angebots an Material in den Werkbüchern etwas zufällig erscheinen; vielleicht ist sie es aber doch nicht ganz.

Musik gehört schon rein biographisch zu Felix Hoffmann. Er stammt aus dem Hause des stadtbekannten Musikdirektors Emil Adolf Hoffmann-Fröhlich, welcher den Gesangsunterricht an der Aarauer Bezirks- und an der Aargauischen Kantonsschule betreute, welcher für unzählige Jugendfeste die Liederdarbietungen vorbereitete, in den Gottesdiensten der Stadtkirche regelmässig orgelte, auch den Kirchenchor dirigierte und zusätzlich jahrzehntelang alle Konzerte in Aarau zuverlässig und fachkundig rezensierte; alles in allem eine Arbeitsleistung, die nur mit einer strengen handwerklichen Einstellung erfüllt werden konnte. Es mag zutreffen, dass dabei die Öffentlichkeit mehr das Wohlwollen, die Familie hingegen mehr die despotische Art dieses markanten Mannes mit dem weissen Vollbart und den dunklen Gehröcken zu spüren bekam. In die Äusserungen Felix Hoffmanns zur Person des Vaters mischen sich ebenso gallige Härte wie scheue Anerkennung und Einfühlung: wenn er etwa einräumt, dass er die „handwerkliche Anständigkeit, die man sich selber schuldig sei auch bei allen Kleinigkeiten“, beim Vater gelernt habe; - der aber doch auch pfuschen konnte, kann er dann nicht unterlassen beizufügen (14.3.64). Distanzierende Grobheiten stehen neben Ergriffenheit, ja feinem Verständnis für die eigentümliche Lage des Vaters, der einmal hatte Opernsänger werden wollen und auch „sehr tonschön“ im Hausgang zu Wagnerplatten mitsingen konnte, der aber – „als musikalischer Kärrner“- den täglichen Kleinkram einer Stadt hinschleppte, „für den ihm niemand dankte“ (15.5.64). – Das subtile Empfinden und das feine registrierende Bewusstsein dessen, was um ihn herum vorging scheint Hoffmann von der Seite der Mutter geerbt zu haben. Von ihr weiss er zu berichten, dass sie Stunden um Stunden erzählen und vorlesen konnte. Durch sie lernte er die Märchen von Grimm und Bechstein kennen sowie die erbauliche Jugendliteratur der Jahrhundertwende. In diesen Vorlesestunden ist offenbar der Grund für Hoffmanns Sprachsensorium, seinen Sinn für den Tonfall, für die Musik im Gesprochenen gelegt worden. Einen dadaistischen Vers, den  ihm einst der Diogenes-Verlag zur Illustration schickt, lässt er sich von den Kindern vorlesen: „Mit den Augen gelesen heisst er gar  nichts. Es kommt ganz darauf an, wer liest und wie er liest. Und was er selber hineinlegt. Man merkt wie viel vom Lesenden abhängt und ausgeht und dass man überhaupt Verse nicht lesen, sondern hören sollte“ (16.5.59). – Noch 1974 erinnert sich Felix Hoffmann genau daran, wie Ellen Widmann im Festspiel zum Schützenfest 1924 ihre Verse gesprochen hat: „Auffallend war, dass sie Pausen machte, Zäsuren, bei denen der Text nicht abriss (bei Dilettanten ist eine Pause immer ein Loch),  sondern auf einmal deutlicher und fassbarer wurde“ (30.12.74).- Zu dem Sinn für den Tonfall kommt nun noch Hoffmanns Empfänglichkeit für bezaubernde Wortklänge. Die „Laterna maschigga“ (magica) war nur schon als Wort im Munde der Grossmutter etwas unbeschreiblich Schönes: „Ich war schon magisch berührt von dem Wort, ohne zu wissen, was es sei; nur so vom Klang und ihrem Tonfall“ (26.5.65). Hoffmann konnte sich auch nie genug ausmalen, wir herrlich der klangvolle Märchensatz: „Ich bin der Räuber Orbasan!“ auszusprechen sein müsste. Aufstehen und diesen Satz sagen können: „Was müsste das für eine Wirkung tun!“).

Frühzeitig zeigte sich auch die Musikalität im eigentlichen Sinne bei dem empfänglichen Jungen. Es begann zu Hause mit den „Singstunden“: „Erinnerung. Bevor ich schon zur Schule kam, hatte ich bei meinem Vater „Singstunde“, d.h. eine bestimmte Stunde, in der er mit mir am Klavier Volkslieder sang. Ich machte das gerne und sang offenbar gut, sonst hätte Vater längst die Geduld verloren. Mein Lieblingslied war das Echolied:

Wie lieblich schallt durch Berg und Wald

das Waldhorns süsser Ton!

(des Waldhorns süsser Toon!)“ (7.1.60)

Romantiker wie Jean Paul oder Richard Wagner haben gerade das Respondieren des Echos, das einen weiten Raum aufreisst und damit das Spiel der Phantasie entbindet, als ein Urphänomen der Musik hervorgehoben. Hoffmann hat das Waldhorn später auch in seinem malerischen Werk vorkommen lassen; erinnert sei an sein Wandbild im Schulhaus auf Stock in Küttigen. – In den väterlichen Singstunden ist offenbar Hoffmanns tiefes Verhältnis zum Volkslied begründet worden. Jedenfalls hat er sich immer wieder mit dieser Gattung beschäftigt: er hat für Kinder Volkslieder gezeichnet (SJW-Heft 840) und hat 1974 drei Dutzend Röseligarten-Lieder, die er von der Kindheit an liebte in einer bibliophilen Ausgabe mit farbigen Holzschnitten herausgegeben (Es taget vor dem Walde, stand uf Kätterlin). Nach der Zeit des Singens kommen die weit weniger geliebten Klavierstunden. Da heisst es: „Was das Klavier anbelangt: Die Waldhornzeit hatte auch ihr Ende, ich bekam Klavierstunden zu fühlen, die ich schon am Anfang der Woche mit Sorge erwartete, auch wenn sie erst am Samstag war. Das ganze Grauen verkörperte sich mir in der Klavierarchitektur und dem Marterstuhl“ (9.1.60). Eine Zeichnug verdeutlicht das Gesagte, und man sieht einen heulenden Buben unter der Fuchtel der Vaters. Doch das hält Hoffmann nicht etwa davon ab, noch nach Jahren den Marterstuhl, auf dem er so manche Ohrfeige erhalten, in einer Zeichnung zu verewigen..... Felix Hoffmann hat sein Leben lang nicht aufgehört, das Klavierspielen und das Singen, auch im Zusammenwirken mit andern, zu pflegen. Es sei hier nur noch angemerkt, dass sein Vokalquartett die Urzelle für den Aarauer Kammerchor von Ernst Locher abgegeben hat.

Nach dem bisher Gesagten ist es keine Frage mehr, dass die Musik den Zeichner und Maler lebenslänglich begleitet und durchstimmt hat. Inwiefern sie im bildnerischen Werk selber enthalten ist, soll nun aufgezeigt werden. Wieder halten wir uns an die eigenen Äusserungen des Künstlers. – Als Buchillustrator sieht sich Felix Hoffmann vor die Aufgabe gestellt, ganze Folgen von Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitten, Lithographien aufzubauen. Und jede dieser Folgen will komponiert sein. Hoffmann hat den Aufbau eines Illustrationszyklus ausdrücklich wie einen musikalischen Verlauf verstehen gelernt. Wie er dabei vorgeht, hat er in einem „Werkstattbericht“ beschrieben: „Die ersten Notierungen der zur Illustration fruchtbaren Stellen sind sehr zahlreich, meist doppelt so viele, wie zum Schluss verwendet werden können. An diesen Blättern arbeite ich weiter, bis sie oft nur noch für mich verständlich und gegenständlich lesbar sind. Ich scheide dabei aus, was aus der Reihe fällt, was zu gleichartig ist oder solche Bilder, die im Buch zu nahe aufeinanderfolgen würden, so dass sich zum Schluss eine geschlossene und doch spannungsreiche Reihe ergibt. – Mein verehrter Lehrer Ernst Würtenberger hatte mir gesagt: „Nehmen sie eine Illustrationsfolge wie eine Oper: Da folgen auch nicht drei Duette aufeinander, sondern nach dem Duett kommt ein Chor, eine Spielszene, eine Arie, ein Orchesterzwischenspiel. Das entspricht nach der Zweifigurenszene des Duetts einer Massenszene, einer Rauferei, einer Einzelfigur, einer Landschaft“. – Ist die Folge als solche in diesen Skizzen festgelegt, nehme ich die einzelnen Szenen und komponiere sie bewusst und verstandesgemäss, um sie aus dem Ungefähr in eine feste Form zu bringen. Ich verstehe darunter, die einzelnen Volumen zueinander in Spannung zu bringen, mit Überschneidungen und dem simpelsten Wirkungsmittel, dem eindeutigen Kontrast zu arbeiten, aber auch den Ablauf der Handlung zu überprüfen, ob er von vorn nach hinten, von oben nach unten oder von links nach rechte erfolgen soll“ (Aarg. Blätter, Baden, Juli 1968, Nr.82, S.12). Hoffmann wird es nicht müde, an diesen Illustrationsfolgen zu arbeiten. Wenn ihm ein Blatt noch als zu räumlich erscheint, ruht er nicht, bis es flächig genug herausgekommen ist. – Er kann im Zusammenhang mit Buchillustrationen auch von einer „Überinstrumentierung“ reden, etwa im Falle der achtzig ganzseitigen Kreidezeich- nungen zu Kellers „Sinngedicht“. Die Hälfte der Zeichnungen wäre richtig, meint er dazu. Er verändert die Konzeption, bleibt dann aber doch bei der ursprünglichen Zahl. Nun muss die grosse Anzahl durch besonders lebendige Gestaltung wettgemacht werden: „Es muss mein spontanstes Buch werden – muss, damit die Masse der Bilder erträglich ist!“ (7.3.70). Hoffmann hat dann im Verlaufe von zwei Jahren das ganze Buch dreimal durchgezeichnet....! Eine köstliche Bemerkung zu Gottfried Keller sei hier nicht verschwiegen: „ Keller liegt mir, und seine Parteinahme in den Novellen entspricht genau meiner Sympathie und ich glaube auch, dass wir beide uns in unsere Heldinnen verlieben!“ (24.11.70).

Nicht weniger als das Komponieren und das Instrumentieren ist auch das Variieren ein Prinzip, das der Musik entstammt. In den Werkstattbüchern zeigt sich der Hang Hoffmanns, immer wieder zu einem bestimmten Grundmotiv zurückzukehren und sich dessen wieder neu zu versichern. Was ist noch gleich? Was hat sich verändert? scheint er dabei zu fragen. Immer wieder erscheint auf Zeichnungen der Ateliertisch mit den je nach Arbeit gerade benutzten Werkzeugen; oder wir sehen den Ausblick auf den Hungerberg, der sich unter dem Licht- einfall, der Jahreszeit, der Lufttemperatur immer wieder verschieden darbietet und der doch eine festgelegte Landschaftsstruktur bildet. Das Gleiche im Wechsel, der Wechsel beim immer Gleichen – wir können beim Variieren bald das eine, bald das andere im Vordergrund sehen. - Ein Thema, das sich vor allem andern darbietet, das ist er selber: der lebende Mensch, der sich in den vielen Selbstporträts, die jeweils um die Jahreswende herum entstehen, auf das Bleibende und auf das  Veränderte hin befragt. Hier geht das Variieren dann auch über in Hoffmanns Interesse am Wachstum, das sich bezeugt findet in den Skizzen über den nahen Wald oder über die vor dem Atelierfenster unaufhaltsam heranwachsende Tanne. Man kann aber auch an Hoffmanns grosse Liebe für Kinder denken. – Das Variieren eines Themas wird gelegentlich auch als Stilspielerei betrieben, etwa in einer Folge von fünf Variationen ein und desselben  Sujets: „Hommage à Ingres“. Da wird eine Figurengruppierung durchgespielt mit starken Schwarz-Weiss-Kontrasten oder als Guache in zarten Grautönen mit fein linearer Zeichnung; sie präsentiert sich mumienhaft und verschlungen oder mit einer farblichen Tönung.

Ein ganz und gar im Musikalischen fundierter Vorgang beim Entwerfen von Bildern ist schliesslich das Rhythmisieren einer Fläche. Gerade hier hat Felix Hoffmann Unverwech- selbares geschaffen, und im Rhythmisieren und Strukturieren seiner Zeichnungen, im sensiblen und auch zufahrenden Strich seiner Feder erkennen wir seine Künstlerindi- vidualität. Hoffmann war sich bewusst, um was es hier eigentlich geht und hat darüber auch gesprochen: „Wer schreibt, benutzt dafür die 25 konventionellen Zeichen unseres Alphabetes; wer zeichnet, muss seine Notizen mit  Zeichen machen, die er fortwährend neu erfindet, d.h. aus den Naturformen abstrahiert. Er zeichnet nämlich nicht ab, sondern er setzt um. Dr. Robert Ammann hat in seinem Buch „Die Handschrift des Künstlers“ die Übereinstimmung von Handschrift und Zeichenschrift anhand von Beispielen umfassend belegt. Skizzieren heisst somit nicht, ungefähr oder unfertig zeichnen, sondern mit höchster Konzentration endgültige und präziseste Form finden“ (Aargauer Blätter, Baden, Oktober 1964, Nr.37, S.9). Das Finden der Form hat der Maler mit dem Musiker gemeinsam, nur spielt sich das bei ihm nicht in der Zeit, sondern eben sichtbar in der Fläche ab, wenn er  durch die Ballung oder Lockerung bestimmter Zeichengruppen, denen er vielleicht kontrapunktisch noch gegensätzliche Formelemente beimischt, eine Rhythmus erschafft. – Während der Arbeit am Zwergensgraffito von Densbüren macht sich Hoffmann Gedanken über die „graphische Dichte“ seines Werkes und schreibt: „In dieser hat mir auf die Beine geholfen die Scarlatti-Sonaten, die Magaloff gestern wundervoll gespielt hat – so sollte das Ganze sein und besonders das Blätterzeug. Scarlatti-Sonaten haben viel Baumschlag“ (10.11.60). Und nun folgen im Tagebuch unter dem Titel Scarlatti gleich zwei Federzeichnungen, voll von tanzenden Blätterformen. Und noch zwei Jahre später kehrt die Erinnerung an Scarlatti wieder, diesmal im Zusammenhang mit Zeichnungen von Taubenschwärmen: „Taubenballett auf dem Domplatz von Padua – Reminiszenz von vor zwei Jahren. Scarlatti“ (7.11.62). Ganze Bewegungszüge zeichnen sich hier ab, ein Hin- und Hertreiben, ein rhythmisches Gewimmel. Unter dem bewegten Ausschwärmen der vielen Tauben aber erscheint – gleichsam als ruhendes Grundgerüst – die Struktur der Steinfliesen des Domplatzes. – Ähnlich verhält es sich auch bei Skizzen zu Schlachtdarstellungen, wo viele Figuren über die Fläche verteilt werden und wo durch Sitzen, Liegen und Stehen, durch hinweisende Arme und Speere eine rhythmische Bewegtheit auf das Blatt geworfen wird. Man begreift auf einmal, warum sich Hoffmann zeitlebens für Altdorfers Alexanderschlacht hat begeistern können.

Dem Problem der Strukturierung von Flächen hat Hoffmann seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet. Immer wieder finden wir Blätter, wo Strukturierungen ausprobiert werden: Hoffmann studiert Eisblumen, Baumstrukturen, er macht eine kandinskyhafte Zeichnung mit Rhythmen eines Fluktuierens, und er beschäftigt sich ausgiebig mit Paul Klee und dessen zeichnerischen Lösungen für die Wiedergabe von Gleichmass, Wechsel, Veränderung. Diese Studien fallen auf den Beginn des Jahres 1963. Es macht den Eindruck, als hätte Hoffmann damals erwogen, ob er sich der Abstraktion zuwenden wolle. Die  konsequente Weiterführung des Satzes aus der Vernissage-Ansprache von 1964: wer zeichne, müsse seine Notizen mit Zeichen machen, die er fortwährend neu erfinde, indem er sie aus den Naturformen „abstrahiere“, würde ja ohne weiteres den Weg in die abstrakte Kunst freigeben. Warum ist Hoffmann auf diesem Wege nicht weitergegangen? Will er die Abstraktion und erreicht er sie nicht? Oder kann er sich zur Abstraktion nicht entschliessen, weil er die Natur mit ihrer unerschöpflichen Formfülle nicht preisgeben will? Für das erste spräche ein Zitat vom 29.1.63: Hoffmann hat im Walde Baumgruppen gezeichnet und notiert sich dann: „Heute 3 Bilder danach gemalt mit der Absicht der Abstraktion, die sich einfach nicht einstellen wollte“. – Für ein bewusstes Festhalten am Bezug zur konkreten Erscheinung hingegen gibt es gleichfalls eindrückliche Belege: Schon 1957 schreibt Hoffmann im Anschluss an die Lektüre von Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ . „Es liegt eine grosse Versuchung darin,  die Gegenstände über Bord zu werfen, besonders, wenn man müde wird – und dieses verantwortungslose und genussreiche Spiel zu spielen. Nichts einfacher! Cave!“ (6.5.) Und drastisch-endgültig drückt er sich aus in dem Satz: „Abstactio – Dea omnivorans Temporis nostri – frisst Leben und scheisst Quadrate“ (28.3.58).Wozu auch die Zeichnung gehört: Fische, Kerbel, Früchte, Blumen, Blätter werden hineingeregelt in eine Abstractio-Figur, die hinten ein Quadrätlibild herauslässt. – Das fundierteste Bekenntnis zu einer auf die Gegenstände bezogenen Kunst stellt aber jene bereits angeführte Vernissage-Ansprache dar, die 1964, also nach den Studien über die Abstraktion formuliert und die in den Aargauer Blättern unter dem Titel „Die Erde ist ein Acker, der die Arbeit lohnt“ publiziert worden ist.

Wenn sich Hoffmann also nicht auf den Weg der Abstraktion begibt, weil er den Kontakt mit der Natur braucht, so heisst das nicht, dass er sich nicht viele Vorzüge der abstrakten Malerei zu eigen gemacht hätte und dafür sehr dankbar wäre. Die Beschäftigung mit der abstrakten Kunst hat ihm eine viel grössere Sicherheit im Bereich des Formalen gegeben. Und davon profitiert namentlich der Schöpfer von Kirchenfenstern. So kann er sich im September 1962, während der Arbeit an Entwürfen für das Züricher Fraumünster, sagen: „Bei den Münster-Entwürfen neue kompositionelle Erkenntnisse. Die Sache ist nicht mehr so einfach wie bei den Aarauer, rein erzählerischen, Fenstern oder dem Jesjafenster, die immerhin in ihren Anfängen 23 und 19 Jahre zurückliegen. Die Konkurrenz ist aber bedeutend schärfer und anspruchsvoller geworden. Was ich damals geleistet habe und von den Experten für gut befunden wurde, das käme heute überhaupt nicht mehr in Betracht; eine Auswirkung der abstrakten Kunst, für die ich herzlich dankbar bin und die mich vor dem selbstgefälligen Versimpeln bewahrte!“ – Alarmiert durch eine Anfrage, beschäftigt er sich 1974 mit Entwürfen für Chorfenster im Basler Münster, und er stellt dabei befriedigt fest, dass er die Gestalten in den Lanzetten zu seiner eigenen Überraschung jetzt „logisch gestalten“ könne, „ohne dass sie eingeklemmt wirken. Abstraktion und „Verzeichnungen“ nehme ich ohne weiteres in Kauf, strebe sie an, was mir 1947 noch unmöglich war und – wenn ich’s schon versucht hätte, nicht ungezwungen gekommen wäre“ (Anfang August 74).

Wie immer Felix Hoffmann die von der Natur vorgezeichneten Formen in seine eigene Zeichensprache umsetzen, sie verdeutlichend zusammenfassen, sie vereinfachen mag, ihr Bezug zur realen Welt wird stets erhalten bleiben. Der Weg geht nicht zur Abstraktion hin, das Bemühen um eine formale Abbindung der Dinge führt nicht zum Verschwinden der Dinge, sondern zu deren Einordnung. Bezeichnenderweise lässt sich auch hier wieder eine Vorstellung aus dem Bereich der Musik ins Spiel bringen. Im Tagebuch findet sich eine Reihe von Zeichnungen mit dem Titel „Partitur“. Es sind Bilder, die über einem partiturartigen Liniengerüst als Grund gelöstere zeichnerische Formen aufschweben lassen. Dem Bilde „romantische Partitur“ (28.11.57“ geht unmittelbar eine Traumillustration (25/26.11.57) voraus, die ein grosses Gebäude zeigt, eine Schule oder ein Krankenhaus, wo sich auf durchlaufenden Balkonen Leute in Lehnstühlen, betreut von Nonnen, aber auch ein Engel aufhalten: Leben also, das sogar fliegen könnte, säuberlich in eine Reihe gebunden. Auch 1970 taucht das Partitur-Motiv auf, doch hat sich jetzt das Ganze zu einem Spiel waagrechter Linien und dazu senkrecht stehender schwarzer Neumen sublimiert. Ähnlich aufgebaut ist eine „Regen-Fuge“ (6.11.71“, wo die waagrechten Linien aber leicht geschwungen sind. Und wenn man andere bezaubernde Zeichnungen anschaut, wo ein System von ordnenden Linien und lebendig bewegte Naturmotive einander in der Schwebe halten, so kommt man geradezu in Versuchung, hierin so etwas wie eine Grundfigur von Felix Hoffmanns Schaffen sehen zu wollen. Die Spannung zwischen der überquellenden Fülle lebendiger Gestalten und deren Bindung an eine höhere Ordnung käme in einer solchen Grundfigur zum Ausgleich. – Die Vorstellung vom Gerüst taucht in den Äusserungen Hoffmanns erstaunlich oft auf: In einer Anwandlung von Depression  schreibt er sogar einmal: „So ist das Leben: Ein Gerüst, auf das dürftigste aufgefüllt mit ein paar beschämenden Lappen. Und es bleibt so wenig Zeit und Kraft und Möglichkeit und Mut, noch etwas beizufügen. Ich weiss, es gibt Gerüste, an denen noch weniger oder überhaupt nichts hängt. Aber das fällt dann auch weniger als Leere auf“ (17.5.71). – Farben werden dazu eingesetzt, eine bestehende Konstruktion zu beleben, dem Gerüst das Lebendige entgegen zu senden: „Innerhalb eines linearen statischen Gerüstes Schwerpunktbildung und Bewegung durch farbige und Helldunkel-Ballung. Durch Farbe Neu- und Umgruppierung gleich gereihter Elemente. Waagrechte Reihung durch Farbe in Senkrechte verbunden“ (16.5.72). – Den schönsten Ausdruck für das Zusammen  von Ordnung und Leben fand Hoffmann 1972 in seinem Wandbild „Naturas grosser Kasten“ im Schulhaus Strengelbach, wo alle die Naturmotive in den Fächern des alten Schrankes, also auch in einem partiturverwandten Ordnungsschema, Platz gefunden haben.

Im Halt gewährenden Gerüst eines Ordnungssystems, die bunt wuchernde Vielfalt der Schöpfung – in dieser Grundfigur liesse sich wirklich vieles von Leben und Werk Felix Hoffmanns einfangen, wenn auch bei weitem nicht alles! Aber es gehört zu Hoffmanns Arbeiten, dass sie sich gern einem feststehenden Rahmen einfügen. Kirchenfenster werden in den Gegebenheiten des Masswerks komponiert, Wandbilder, Tapisserien und Mosaike in denen einer vorgegebenen Architektur; Buchillustrationen schieben sich in einen Satzspiegel ein. Ein grosser Teil seiner Auftragsarbeit sei „Teil der Architektur“, müsse sich eingliedern, schreibt Hoffmann. „Text, Material usw. spielen eine Rolle. Das alles sind Bindungen, die mich aber nicht etwa bedrücken, sondern stützen“ (Aargauer Blätter Nr. 37). Vielleicht erscheinen sogar, von dieser Grundfigur aus verstanden, die Jugend im streng formbildenden Vaterhaus und die Arbeit nach geordneter Zeiteinteilung neu bedeutsam.

Und ganz so zufällig will auch Hoffmanns inneres Mitschwingen nicht mehr erscheinen, wenn er sich Musik von Mozart anhören kann, von jenem Meister, dem das Ineinander-Aufgehen von Halt gebender Form und lebendig strömender Lebensfülle im vollendetsten geglückt ist. „ Es ist eigenartig“, notiert er, „wie mich Mozartmusik ergreift, auch wenn sie fröhlich und gar nicht problematisch ist, so , als hätte ich sie in einem früheren Leben geschrieben. Seine Schrift kann ich ohne viel Mühe nachschreiben, und was ich zeichne, geht ohne weiteres darin auf“ (5.6.55). Mozart hat – so wenig wie J.S.Bach – irgend eine neue Form gefunden oder entwickelt. Und dennoch sind die beiden in Hoffmanns Gewichtung „die grössten„: „Sie haben bloss ihr ganzes Menschsein und tiefes Empfinden in die bestehenden Formen gegossen und diese dadurch zeitlos gemacht, weil das Menschliche das Formale überlebt und noch nach Jahrhunderten spricht. Es muss also neben den formalen Neuerern auch die Vollender geben, die sich in der Tradition aussprechen  und trotzdem durch ihre menschlichen Qualitäten und die Fähigkeit, diese künstlerisch zu formulieren, Gipfelpunkte sind. Und dieses Menschliche ist unwissentlich eingeflossen, d.h., die Meister haben einfach gute Musik gemacht und das andere, das man nicht wollen kann, war einfach dabei“ (21.1.75). Diesen Worten, die einem Bekenntnis gleichkommen und zugleich zusammen- fassen, was uns in Felix Hoffmanns eigenem Werk ergreift, brauchen wir wohl nichts mehr beizufügen.

  

erschienen in  „Felix Hoffmann“  Retrospektive, Aargauer Kunsthaus Aarau, 1977